Die Familie beschreibt die Diplom-Volkswirtin Bertelmann als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft. In ihr übernehmen Menschen verlässlich generationenübergreifend für einander Verantwortung. Damit bieten sie gegenseitig materielle und emotionale Sicherheit und Geborgenheit, Entwicklungschancen und Fürsorge. Gelebt wird die Familie in vielen verschiedenen Formen und Zusammensetzungen.
Mehr Mobilität und Flexibilität gefordert
Durch Veränderungen in der Arbeitswelt haben Familien Anpassungsleistungen erbringen müssen, erläutert das Mitglied der Kammer für soziale Ordung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Zu den Veränderungen gehören die Abkehr von relativ gleichen Arbeitszeitstrukturen, vielfältigere Arbeitszeitmodelle sowie steigende Anforderungen an Mobilität und zeitliche Flexibilität. Bei wachsender Frauenerwerbsquote und vielfältig flexibilisierter Arbeitszeit kam es zudem zu einschneidenden Veränderungen im Renten- und Unterhaltsrecht. Die zeitliche Begrenzung des Elterngeldes und der Anspruch auf die Weiterbeschäftigung auf dem ursprünglichen Arbeitsplatz für nur ein Jahr begrenzen faktisch gleichzeitig die gesellschaftlich und betrieblich akzeptierte Elternzeit.
Zu den neuen Rahmenbedingungen zählt Bertelmann außerdem den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuungsangebote und den erweiterten gesetzlichen Anspruch auf Betreuungsplätze für Kinder ab zwei Jahren. Darüber hinaus nennt sie die zumindest geringfügig erweiterte Anrechnung von Erziehungs- und Pflegezeiten für Rentenansprüche und die befristete Freistellungsmöglichkeiten für Personen, die sich um Pflegebedürftige kümmern.
Mangelnde gesellschaftliche Anerkennung
Die Autorin kritisiert die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen, die unzureichende Alterssicherung und Altersarmut insbesondere von Frauen, die mangelnde Anerkennung der gesellschaftlichen Reproduktionsleistung von Eltern und das Festhalten an hierarchischen Strukturen. Sie stehen der Freiheit, partnerschaftlich Familie zu gestalten, noch entgegen.
Bertelmann sieht eine Inkongruenz mit bestehenden gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen, mit denen Menschen, die als Familie zusammenleben, in unterschiedlicher Weise konfrontiert sind. Dies gilt besonders, je schneller gesellschaftliche Veränderungen und neue Entwicklungen in Wirtschaft- und Arbeitswelt stattfinden. Sie fordern nicht nur eine Anpassung der Berufstätigen selbst, sondern auch aller anderen gesellschaftlichen Institutionen und nicht zuletzt der Familien.
Die Autorin verweist auf den siebten Familienbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Bericht kommt zu der Einschätzung, dass gemeinsame Zeiten, um als Familie zusammenzukommen und Familie zu erleben, nicht mehr selbstverständlich sind.
Neue Möglichkeiten durch technischen Fortschritt
Gleichzeitig bietet nach Ansicht von Bertelmann der technische Fortschritt neue Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in partnerschaftlichen Familien. Sie ermöglicht eine höhere zeitliche Flexibilität und erhebliche Zeitersparnis, die Erwerbstätige mit Familienverantwortung für die Familie nutzen können. Allerdings verliert die Erwerbsarbeit dadurch auch weitgehend ihre strukturierende Funktion für den Tagesablauf.
In der Arbeitswelt sieht die Autorin deutlichen Handlungsbedarf. „Es bleibt eine Aufgabe von Politik, Tarifpartnern und bisher noch nicht sehr starken Interessenvertreterinnen und -vertretern von Plattformarbeit hier gemeinsame Regelungen zu entwickeln“, so Bertelmann. Diese müssten die individuellen, betrieblichen und gesellschaftlichen Vorteile dieser neuen Arbeitsformen erhalten und gleichzeitig die nötige strukturelle und institutionelle Voraussetzung für ausreichende Absicherung der Erwerbstätigen bieten, die gerade für Familien unerlässlich ist.