Plötzlich wieder in der klassischen Rollenverteilung

Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie bleibt besonders für Frauen eine Herausforderung. Die Evangelische Akademie im Rheinland startet eine Veranstaltungsreihe dazu. Im Interview erklärt Studienleiterin Dr. Kathrin S. Kürzinger, die aktuelle Situation und was sich ändern sollte.

Was hat sich bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie im Vergleich zu früher bereits verändert?

Kathrin S. Kürzinger: Es ist heute sicherlich mehr ein Aushandlungsprozess zunächst einmal innerhalb der Partnerschaft, da es heutzutage selbstverständlicher ist, dass beide Elternteile arbeiten und nicht einem allein die Versorgerrolle zukommt. Durch Elterngeld und gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz ist auch seitens der Politik einiges in die Wege geleitet worden. Nur hilft einem ein Gesetzesanspruch in der Theorie im Kampf um begehrte Betreuungsplätze gerade in Großstädten recht wenig. Allerdings verspüren gerade Frauen auch zunehmend Rechtfertigungsdruck, wenn sie sich dafür entscheiden, länger vom Job zu pausieren und die Kinder selbst zu betreuen. Insofern sind wir aus diversen Gründen noch weit von einer echten Wahlfreiheit bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entfernt.

Welche Bedeutung haben tradierte Geschlechterrollen für die fehlende Vereinbarkeit?

Kathrin S. Kürzinger: Der Großteil der Care-Arbeit bleibt – wie Studien zeigen – nach wie vor an den Frauen hängen. Dazu zählt heute auch immer mehr, den Überblick über sämtliche Familientermine zu behalten und beispielsweise Arzt-, Sport- oder Kindergeburtstagstermine zu managen. Während Frauen das früher in ihrer Hausfrauen- und Mutterrolle übernommen haben, stemmen sie das heutzutage neben ihrem Teilzeit- oder Vollzeitjob oft gewissermaßen nebenbei. Diese Doppelbelastung kann auf Dauer nicht gut gehen. Väter wiederum, die nicht nur die üblichen zwei Vätermonate Elternzeit nehmen, um mit der Familie in Urlaub zu fahren, sondern tatsächlich einen erheblichen Teil der Elternzeit übernehmen, in der dann ihre Partnerin arbeiten geht, müssen sich allzu oft noch dumme Sprüche ihrer Kollegen oder Vorgesetzten anhören. Oder aber sie trauen sich aus Karrieregründen gar nicht, mehr als die zwei sogenannten Vätermonate in Anspruch zu nehmen.

Ein weiteres Problem ist der insbesondere in Deutschland noch immer immens hohe Gender Pay Gap. Frauen verdienen traditionell weniger als ihre Männer. Aus einfachen finanziellen Gründen sind in der Regel sie es dann, die beruflich kürzertreten, sobald das erste Kind kommt. Das gilt, egal wie gleichberechtigt die Aufgaben vorher in der Partnerschaft verteilt waren. Plötzlich finden sie sich dann in der klassischen Rollenverteilung wieder, die sie eigentlich nie wollten.

Was können die Firmen und die Politik tun, um Frauen und Männer zu unterstützen?

Kathrin S. Kürzinger: In Anlehnung an die Erfolge des Elterngeldes ist zu überlegen, inwiefern auch eine Art Elternpflegegeld als Lohnersatzleistung für Entlastung am anderen Ende der Familienphase sorgen kann, wenn es um die Betreuung und Pflege von Angehörigen geht. Hier stehen wir noch ziemlich am Anfang. Doch da aktuell und künftig viele dringend benötigte Pflegekräfte in Senioren- und Pflegeheimen fehlen, wird sich die Lage vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft enorm verschärfen.

Wenn in Firmen eine Präsenzkultur hochgehalten wird oder Meetings und Konferenzen grundsätzlich für den späten Nachmittag oder frühen Abend angesetzt werden, weil dann endlich alle Zeit haben, so wie ich das beispielsweise an der Uni erlebt habe, bedeutet das natürlich wieder zusätzlichen Aufwand bei der Organisation der Kinderbetreuung. Gerade Alleinerziehende können das oftmals gar nicht stemmen. Insofern braucht es hier ein gegenseitiges Entgegenkommen. Außerdem sollten wir uns endlich zum Beispiel von Schweden abschauen, dass auch Führungspositionen in Teilzeit möglich sind und dass Kinder keinesfalls für Frauen das Ende der Karriere bedeuten müssen.

Unternehmen könnten noch verstärkt in Mentoring-Programme investieren, um insbesondere Frauen auch während der Familienphase ans Unternehmen zu binden und auch an die Frauen ein Zeichen zu senden, dass und wie die Karriere nach Elternzeiten weitergehen kann.

Viele Eltern wünschen sich laut Umfragen, dass beide Elternteile rund 70 bis 80 Prozent arbeiten und somit in der Familienphase beide mehr für die Kinder da sein können. Hier gibt es in Deutschland noch deutlich Luft nach oben.

Gibt es persönliche Erfahrungen, die Sie mit dem Thema verbinden?

Kathrin S. Kürzinger: Sogar die komplette Bandbreite: institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen wie Krippe, Kindergarten, offene Ganztagsschule sowie flexiblere Lösungen wie Tagesmutter, die ins Haus kommt und Au-pair. Mein Mann arbeitet in Wechselschicht, und wir haben daher immer Randbetreuungszeiten zu überbrücken, die in der Regel keine institutionelle Kinderbetreuungseinrichtung abdecken kann. Ich bin ein halbes Jahr wöchentlich aus Bayern nach Bonn ins Rheinland gependelt. Allerdings war das emotional für die Familie und insbesondere die Kinder auch eine enorme Belastungssituation, die unserer Ansicht nach daher eine zeitlich begrenzte Ausnahme bleiben soll. Einmal brauchte ich auch Unterstützung einer Familienhelferin während eines Reha-Aufenthaltes meines Mannes.

Jahrelang haben wir zusammen mit meiner pflegebedürftigen Schwiegermutter im selben Haus gelebt. Daher kenne ich auch hier die Herausforderung plötzlich Kurzzeitpflege, Heimunterbringung oder Pflegedienste zu organisieren sowie den Kampf um die Anerkennung einer Pflegestufe zu meistern.

Generell hat mir persönlich der stetige Austausch mit Kolleginnen und Freundinnen geholfen. Wenn man sich den ganzen Frust mal von der Seele reden kann und dabei merkt, dass die anderen an genau den gleichen Baustellen kämpfen, hilft das schon sehr. Aber auch sich bei anderen Ideen zu holen, wie sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter einen Hut bekommen, ist sehr hilfreich.

 

Die Veranstaltungsreihe zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ startet am Donnerstag, 19. September, 19.30 Uhr bis 21.30 Uhr in der Evangelischen Akademie im Rheinland, Friedrich-Breuer-Straße 86, in Bonn. Die Reihe richtet sich an alle, die von der Thematik direkt betroffen sind, zum Beispiel junge Familien. Das Thema der ersten Abendveranstaltung lautet „Wie plane ich meinen beruflichen Wiedereinstieg?“.