Solo-Selbstständige und das Gefühl nicht wertgeschätzt zu werden

Viele Menschen seien während der Coronakrise „durch alle Roste gefallen“, sagt Veronika Mirschel angesichts der Erfahrungen von Solo-Selbstständigen. Die Leiterin des Referats Selbstständige in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) fordert Solo-Selbstständige mit allen Rechten und Pflichten in die Arbeitswelt und die soziale Sicherung zu integrieren.

Wie lässt sich grundsätzlich die Situation von Solo-Selbstständigen in der Bundesrepublik beschreiben? Welche Unterschiede gibt es?

Veronika Mirschel
Veronika Mirschel (Foto: Gunter Haake)

Das Bild ist heterogen. Solo-Selbstständigkeit ist seit dem neuen Jahrtausend stark angestiegen, auch was die Frage der Tätigkeiten angeht. Es gibt gut aufgestellte Solo-Selbstständige. Die sagen: Ich bin unternehmerisch unterwegs, bleibt mir bloß fort mit irgendwelchen Prekariatsbegriffen. Ich kann selbst für mich sorgen. Dann gibt es die, die eher arbeitnehmerähnliche Tätigkeiten wahrnehmen. Einige IT-Selbstständige haben Tagessätze, die anderen Tränen in die Augen treiben. Es gibt aber auch die Tageszeitungsjournalistinnen und -journalisten am anderen Ende. Sie werden meist nach Zeilen bezahlt und müssen sich die Finger wundschreiben, um überhaupt etwas zu verdienen. Dann müssen sie möglicherweise auch noch die Anfahrtskosten selbst tragen. Die Solo-Selbstständigen sind also sehr unterschiedlich, sowohl vom Selbstverständnis als auch von den Einnahmen her.

Welche Rolle spielen die Auftraggeberinnen und Auftraggeber für die wirtschaftliche Lage?

Bei der neuen Form der Plattform-Arbeit haben wir Auftraggeber, die sich gar nicht so definieren. Sie sagen: Wir sind eine reine Technikplattform. Wir stellen nur die Technik zur Verfügung und übernehmen keinerlei Verantwortung. Der Algorithmus wird gewissermaßen zum Auftraggeber. Aber es gibt zum Beispiel auch öffentliche Auftraggeber im Bildungsbereich. Da sind in einigen Bereichen inzwischen durchaus Zugeständnisse zu erkennen, was die Frage der Stundensätze angeht. Es hat sich auch verbessert, weil die Kolleginnen und Kollegen gemeinschaftlich agiert haben.

Dann gibt es die Auftraggeber, die überhaupt kein Verständnis für angemessene Honorarsätze haben. Die fragen dann: Wie kann man auf einen Stundensatz von 30, 35 Euro kommen? Da fehlt der Einblick, was mit einem Stundensatz alles abgedeckt sein muss, dass auch Vor- und Nachbereitungszeiten, Krankheit, Urlaub und bürokratischer Aufwand abgedeckt sein müssen. Das Bewusstsein dafür ist auch gesellschaftlich ziemlich unterbelichtet.

Man merkt vielen Kolleginnen und Kollegen an, dass sie in der Situation leben, Vogel friss oder stirb. Wir fordern eine Auftraggeberbeteiligung an den Sozialversicherungskosten in allen Bereichen. Was wir als das Positive an Selbstständigkeit bezeichnen, wird durch den Druck absolut konterkariert. Diese Selbstständigen müssen auch Aufträge mit niedrigen Honoraren annehmen, um die Miete zahlen zu können oder auch die Kinder zu ernähren. Das Durchschnittskommen der Versicherten in der Künstlersozialkasse betrug vor Corona gerade einmal 17000 Euro. Da habe ich nicht wirklich die Freiheit eines Selbstständigen.

Was bedeutet die Coronakrise für die Selbstständigen, die schon zuvor in einer prekären Lage waren?

Bei Corona haben wir gemerkt, wie viele Menschen unmittelbar durch alle Roste gefallen sind, weil sie keinerlei Rücklagen aufbauen konnten, weil sie schon vorher so schlecht bezahlt wurden, dass sie sofort auf Null kommen. Sie arrangieren sich im Alltag schon damit, nicht in den Urlaub fahren zu können. Aber jetzt in eine Situation zu knallen, wo es keinerlei Auffangnetz gibt, war für viele ein irrer Schock.

Wir haben den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung in der Coronakrise begrüßt. Viele haben es aber als entwürdigend wahrgenommen, dass Selbstständige plötzlich mit Langzeitarbeitslosen gleichgesetzt wurden und dass Selbstständigkeit als Begrifflichkeit einen deutlich negativen Touch hatte. Kolleginnen und Kollegen in einer Lebenspartnerschaft konnten oftmals nicht auf die Grundsicherung zugreifen. Das Gefühl war, dass die Selbstständigkeit nicht wertgeschätzt wird. Während eine Teilzeitkäuferin in Kurzarbeit wenigstens noch Kurzarbeitergeld bekommt, gewissermaßen als Wertschätzung ihrer Arbeit, werden sie zurückgestoßen auf das Nichts, nur auf die Partnerschaft.

Ganz große Erleichterung kam zunächst durch die Soforthilfepakete. Dann hieß es aber: Ihr habt nicht das Recht gehabt, Geld zu beantragen. Hilfen gibt es nur für betriebliche Ausgaben. Doch die sind meist recht niedrig. Also mussten sie zurückzahlen. Es galt das Prinzip: kein Geld für die Lebenshaltung. Nur Baden-Württemberg, Bayern und zum Teil Thüringen waren eine Ausnahme. Solo-Selbstständige sagten sich dann: Ich traue mich gar nicht mehr irgendetwas zu beantragen, weil mir im Nachgang nur unterstellt wird, ich wolle betrügen. Das merken wir jetzt noch ganz massiv in NRW und Berlin, wo die Kolleginnen und Kollegen tatsächlich Strafanzeigen bekommen, auch wenn sie die Hilfe in voller Höhe zurückbezahlt haben.

Was können eine Gewerkschaft wie Ver.di und andere Interessensvertretungen für Soloselbstständige tun?

Vorweg: Alle Aktionen haben leider nichts genutzt. Wir haben die Kolleginnen und Kollegen aktiviert. Wir haben mit anderen Verbänden Gespräche geführt, Aktionen gemacht und Petitionen mit hunderttausenden Unterschriften eingereicht. Doch die Frustration über den Misserfolg war sehr groß. Der Schwerpunkt war daher neben der Interessenvertretung in politischen Runden die Information der Kolleginnen und Kollegen. Wir haben einen Mitgliederbrief verschickt und ein großes Info-Portal mit Landesförderungen und Neustarthilfe aufgesetzt. Außerdem waren wir in unendlich vielen Einzelberatungen aktiv, weil jedes Land anders agiert hat.

Welche Forderungen richten Sie an die Politik?

In unseren Positionen zur Bundestagswahl erklären wir, dass Solo-Selbstständige mit allen Rechten und Pflichten in die Arbeitswelt und die soziale Sicherung integriert werden müssen. Unser Leitbild ist die Akzeptanz und Wertschätzung der soloselbstständigen Erwerbstätigkeit. Eine Konsequenz ist rund um das Kurzarbeitergeld eine Gleichstellung zu erreichen. Nur eine kleine Gruppe von Selbstständigen hat jetzt die Möglichkeit, sich gegen Arbeitslosigkeit zu versichern. Das muss geöffnet werden. Wenn man keine Pflichtversicherung macht, werden die Bessergestellten nicht hineingehen, weil sie sagen, brauche ich nicht. Andere werden sagen, ich kann mir das nicht leisten.

 

Forderungen der ver.di-Selbstständigen zur Bundestagswahl 2021

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